Das Leid eines Rauchers in einem Krankenhaus ist, dass eigentlich nirgends geraucht werden darf. Doch irgendwo gibt es dennoch ein Plätzchen – und das war hier auf der Dachterrasse im siebten Obergeschoss.
Am Tag nach meiner Einlieferung benutzte ich die ersten paar Male noch den Aufzug, da mir doch noch der Schock des Unfalls etwas in den Gliedern steckte. Aber bereits zur dritten Zigarette hin fing ich an aus dem Zweiten bis zur Dachterrasse die Treppen hoch zulaufen. Und natürlich auch wieder runter.
Diese „Wanderschaft“ über fünf Stockwerke hinweg wurde zu meiner Bewegungstherapie. Nur nach Acht Uhr abends musste ich runter ins EG und dort vor die Tür um Eine zu rauchen. Weil mir das aber zu wenig Bewegung war, lief ich dann doch noch bis in den Siebten – zur verschlossenen Tür von der Dachterrasse – und wieder in den Zweiten zu meiner Station. So war ich im Schnitt alle ein-einhalb Stunden unterwegs durch das Krankenhaus – von morgens um Sieben, bis Nachts um Elf … mindestens.
Selbst am Tag meiner OP war ich nur ein Mal mit dem Aufzug zur Dachterrasse unterwegs. Zwar ging ich an diesem Tag nicht ganz so schnell wie sonst, doch war mir die Bewegung einfach wichtig. Einfach nur faul daliegen und vor sich hin vermodern konnte ich nicht.
Es gab einige schöne Momente dort oben auf der Dachterrasse. Schon die Aussicht über Durlach alleine war jedes mal etwas erquickendes. Und einmal, während eines Sonnenuntergangs, war die Sicht so klar, dass man das Gefühl hatte gar am Schwarzwald vorbei bis zu den Alpen sehen zu können. Vom Turmberg aus reihte sich ein Hügel nach dem anderen bis zur Ewigkeit und war dabei in einem warmen Farbenmeer der gegenüber in den Vogesen untergehenden Sonne gefärbt. Hierbei hatte ich mich schier schwarz geärgert, dass ich meine Kamera mit den kaputten Händen nicht habe halten können.
Ein anderes mal lag die Landschaft fast komplett im morgentlichen Frühnebel. Nur zwischen zwei bewaldeten Hügeln neben dem Turmberg kam bereits die Sonne hoch und schnitt mit ihren warmen Strahlen im orangenen Licht eine Schneise in den Nebel, als hätte eine Gottheit mit einer riesigen Axt eine Kerbe hinein geschlagen.
Diese Aussicht (die eigentlich nur wir Raucher zu Gesicht bekamen) hatte den Aufenthalt in dem Krankenhaus etwas erträglicher gemacht.
Das andere war aber auch der angenehme Umgang zwischen Personal (Ärzte wie Schwestern und Pfleger) und Patienten. Es äußerte sich immer wieder in kleinen spitzfindigen, aber witzigen Bemerkungen. Der Stationsarzt kam mir mal entgegen als ich wieder auf meine Wanderung ging und meinte: „Der ist ja schon wieder unterwegs! Nie trifft man ihn in seinem Zimmer an. … Ich mach ihnen jetzt gleich mal einen Einlauf und dann bleiben Sie mal da!“ Ich schaute ihn zwar mit großen, fast erschrockenen Augen an, doch er setzte dann noch kleinlaut nach: „Is’n Witz.“
Während meinen Wanderungen durch das Treppenhaus machte ich mir auch immer irgend welche Gedanken über alles Mögliche – vor allem über die Sachen, die ich eigentlich in nächster Zeit machen wollte um endlich wieder einen Job zu bekommen. Doch einmal fing ich an die Stufen zu zählen: Pro Stockwerk zwei mal zehn Stufen jeweils rechts und links vom Aufzug, hinter dem Aufzug ein ebenes Zwischenstück. Somit ergab dies bei sieben Obergeschossen und einem Erdgeschoss acht Stockwerke … mal 20 Stufen … gleich 160 Stufen – alle ein-einhalb Stunden.